Florentin war im Schuljahr 2016/17 Zivildiener in der SchülerInnenschule im WUK. Vor 13 Jahren war er selbst dort Schüler. Ich habe ihn getroffen und ihn über seine Zeit in der Schule damals und heute befragt, und wie sein Weg weiterging. Es war ein sehr lebendiges und offenes Gespräch. Vor mir saß ein junger, selbstbewusster Mann, der sehr selbstbestimmt seinen Weg geht und gehen wird.
Judith: Lieber Florentin, oder Flo, wie alle hier zu dir sagen, stell dich bitte unseren LeserInnen vor.
Flo: Das ist super! Ich bin der Florentin, Schleicher mit Nachnamen, und bin 22 Jahre alt. Ich wohne gerade alleine, hab zwei Jahre studiert und habe den Zivildienst eingeschoben und nehme Urlaub vom Studium.
Judith: Hast du auch eine alternative Volksschule besucht?
Flo: Ich hab eine ganz klassische Volksschule besucht. Meine Lehrerin hat dann meiner Mutter geraten, ich solle auf eine Alternativschule gehen.
Judith: Vor wie vielen Jahren warst du hier in der SchülerInnenschule selbst Schüler?
Flo: 2004 hab ich die Schule abgeschlossen, also vor 13 Jahren.
Judith: Hat sich die Schule verändert in diesen 13 Jahren?
Flo: Ja, ja, schon. Grundsätzlich hat sie sich insofern verändert, dass jetzt mehr Schüler sind als damals. Wir waren so an die 40 SchülerInnen, auch mal etwas weniger. Heute sind es 72. Was damals aber wirklich ganz anders war, war, dass der Durchschnitt viel älter war. Da wir so wenig junge Kinder hatten damals, war mein Freundeskreis um die drei bis vier Jahre älter. Und da jetzt auch viele Jüngere hier sind, fällt mir auch auf, dass sich das in der Lautstärke auswirkt. Auch die Älteren können laut sein, aber da ist es gezielter. Insgesamt ist es schon ein recht lauter Pegel, aber da gewöhnt man sich dran.
Durch die geringe Anzahl war früher mehr Spontanität da. Wir sind früher oft ganz spontan zu Demos gegangen. Das ist natürlich ab einer gewissen Anzahl von Kindern auch nicht möglich.
Wir hatten damals fast keinen Frontalunterricht, was jetzt in den höheren Klassen schon verstärkt vorkommt. Ich finde auch, dass es schwieriger ist für die LehrerInnen, bei mehr Kindern auf jeden individuell einzugehen. Aber Gott sei Dank bemühen sie sich noch immer sehr intensiv, jeden Schüler im Blickfeld zu haben und sie nehmen sich dafür auch viel Zeit. Auch als Kind bekommt man immer noch für alles genügend Zeit.
Ja, das sind so die Dinge, die mir jetzt spontan einfallen. Aber ich kann sagen, dass die SchülerInnenschule nach wie vor ziemlich cool ist.
Judith: War für dich der Besuch der SchülerInnenschule eine Bereicherung?
Flo: Ja, auf jeden Fall! Ich hab dann anschließend eine HTL mit grafischem Zweig besucht. Am Anfang bin ich schon ziemlich nachgehangen. Aber da nahm ich dann Nachhilfe in Mathe, zumal ich auch sehr starker Legastheniker war.
Das ging dann alles sehr gut und ich hab alles aufgeholt. Ich hab das auch nie als Verlust oder Mangel gesehen, weil die SchülerInneschule auf so vielen anderen Gebieten eine so große Bereicherung war.
Die vier Jahre hier im WUK waren für mich Freiheit und sorgloses Lernen und jetzt musste ich halt mal reinbeißen. Und es war auch überhaupt kein Problem, mich einzuarbeiten, sodass ich auf demselben Level wie die andern aus Regelschulen war. Für mich war das neu und ich wollte das auch und ich habe alles aufgesaugt, weil es mich interessiert hat.
Ich finde, dass die SchülerInnenschule einen noch fernhält von dem für mich zu sehr strukturierten und gestressten Leben, das auch vom regulären Bildungssystem geprägt ist. Man macht hier nicht nur das, was vorgeschrieben ist, sondern das, was einen wirklich interessiert. Es gibt hier noch viele Freiräume. Und ich glaube, dass viele danach richtig Lust haben, weiterzulernen und was Neues zu machen. Hier lernt man sich selbst zu fordern, und im regulären System muss man Forderungen anderer nachkommen. Die Lust aufs Lernen wird hier nicht verdorben, sondern bleibt erhalten.
Judith: Es kommt vor, dass Eltern in der 3. oder 4. Klasse in Panik geraten, da sie glauben, ihre Kinder lernen zu wenig. Wie siehst du das? Was würdest du diesen Eltern als Vertrauensbonus in das alternative System mitgeben?
Flo: Das wichtigste ist es, den Lehrern zu vertrauen. Ohne dieses Vertrauen geht das gar nicht. Denn die Lehrer wissen, was sie tun, und sie machen ihre Arbeit wirklich gut, aber sie machen sie auf ihre Art, die den Vorstellungen von einigen Eltern eben nicht ganz vertraut sind. Aber das ist die Basis. Und wenn die nicht da ist, wird es für alle schwierig.
Also ich würde diesen Eltern raten, dem Ganzen etwas relaxter entgegenzuschauen. Denn das Leben ist für die Kinder ja noch ziemlich am Anfang. Sie machen hier eine tolle Erfahrung, die sie sonst nicht bekommen. Kinder, die hier zur Schule gehen und auch wahrnehmen, was hier passiert, sind Menschen, die dann rausgehen und was machen wollen. Bei mir war das so. Niemand außer mir zwingt mich, was ich machen soll. Und im regulären System ist mir aufgefallen, dass alle immer rumsitzen und eigentlich nur für die Lehrer oder Eltern lernen, und für die Noten. „Und was machst du für dich?“, war dann immer meine Frage. Und wenn ich weiß, was mich interessiert, dann ist es einfach sinnvoller, denn dann fällt das Lernen viel leichter, und auch mühsame Phasen werden in Kauf genommen, weil man halt die persönliche Leidenschaft spürt.
Also bei meiner Mutter war das toll. Die hat den LehrerInnen voll vertraut und für sie waren die LehrerInnen ziemlich coole Typen. Und sie hat sie schon sehr geschätzt.
Judith: Was glaubst du, wäre in deinem Leben anders verlaufen, hättest du eine klassische Schullaufbahn verfolgt? Hast du ein Gefühl dafür?
Flo: Oh, das ist eine schwierige Frage. Also ich hab bei einem guten Freund mitbekommen, der auf einem wirklich guten Gymnasium war, wie er lernt. Also ich hätte da sicher Probleme bekommen, und ich hätte sicher nicht die Zeit gehabt, herauszufinden, was mich wirklich interessiert hätte. Ich wär sicher so beschäftigt gewesen, mich mit dem zu beschäftigten und das zu erfüllen, was von mir gefordert worden wäre, dass ich keine Zeit für mein wirkliches Wollen gehabt hätte. Tests und Schularbeiten hätten mich enorm gestresst. Das war einfach nie mein Ding. Das seh ich auch jetzt auf der Angewandten. Im Praktischen bin ich super, hab immer tolles Feedback bekommen und bin schnell weitergekommen. Aber wenn es um Tests geht, dann erreich ich einfach nie das Resultat, was ich eigentlich könnte. Also das System mit all den Prüfungen ist mir immer ein Rätsel gewesen. Das war nie was für mich.
Judith: Was hast du nach dem Abschluss hier auf der SchülerInnenschule gemacht?
Flo: Ich bin in die Spengergasse auf die HTL und da auf den grafischen Zweig. Für mich war das damals ideal, weil wir haben urviel ausprobiert. Und die Lehrer kamen teilweise selber von der Angewandten. Eigentlich wollte ich zuerst auf die Graphische, aber dort wurde ich nicht genommen. Da war ich dann schon etwas deprimiert, denn da wollte ich unbedingt hin, hab mich auch gut vorbereitet. Aber dann bin ich in die Spengergasse, und im Nachhinein muss ich sagen, es war für mich perfekt. Denn ich kam in eine Klasse, die gerade neu aufgezogen wurde. Und wir hatten alles: Sound, Grafik, Design, Film und Aufnahmetechnik.
Wir haben viel experimentiert. Ich hatte die Möglichkeit, überall reinzuschnuppern. Die Lehrer waren jung, offen und und es gab auch da viel Freiheit. Das hat sich ja jetzt leider wieder etwas verändert und wirkt ein wenig festgefahren. Ich hatte das Glück, beim Start mit dabeizusein.
Auch das Diplom war cool. Ich hab da mit andern Kollegen einen Animationsfilm gemacht und der Film ist richtig toll geworden. Die Herangehensweise war eine völlig andere als bei anderen SchülerInnen, aber die Diplomarbeit wurde total wertgeschätzt.
Judith: Wie schaut dein weiterer Weg aus?
Flo (lächelt): Das ist eine lustige Frage. Also ich studiere ja auf der Angewandten seit zwei Jahren: Malerei und Animation. Hab jetzt den Zivildienst eingeschoben. Ich werde sicher zurückgehen. Aber ich spiele ja auch seit einiger Zeit in einer Band. Das wird jetzt auch ernsthaft. Im Sommer werden wir wahrscheinlich eine Tour machen. Ich spiele Melodika – im Vergleich zu den anderen Musikern etwas dilettantisch aber mit sehr viel Energie. Und das passt auch für die anderen. Kunst und Musik machen mich glücklich und im Moment ist dies der Weg, den ich weiter verfolgen werde.
Aber wie genau und was, das wird sich in den nächsten Monaten herausstellen.
Judith: Wie finanzierst du dein Leben?
Flo: Die letzten zwei Jahre haben mich meine Eltern noch unterstützt. Und wenn ich jetzt meine Kraft in die Musik und die Band stecke, dann meinte auch meine Mutter, ich müsse dann halt auch was arbeiten. Hab ich auch immer wieder gemacht, so Nebenjobs, mal als Grafiker, mal im Service. Aber bis jetzt wurde ich großteils von meinen Eltern unterstützt.
Aber ich merke immer mehr, ich will auch für mich selber stehen und nicht nur von meinen Eltern abhängig sein.
Judith: Was ist dein Lebensmotto?
Flo: Erwarte nichts und nimm alles.
Judith: Danke für das Interview.